
Allgäuer Dialekt: (m)ein Kampf gegen Windmühlen

Don Quijote hatte sich laut Cervantes bei seinem sprichwörtlich gewordenen Kampf gegen Windmühlen in die falsche Vorstellung verrannt, diese seien feindliche Riesen. Manchmal frage ich mich, ob auch ich nur einem falschen Feindbild nachjage, wenn ich so hartnäckig gegen die sprachlich-kulturelle Bajuwarisierung in meiner Heimat ankämpfe und mich für den Erhalt der schwäbisch-alemannischen Identität – damit auch dem Allgäuer Dialekt – einsetze.
Dialekt & sprachlicher Seitenhieb
Diesen sehr frustrierenden Kampf führe ich auf mehreren Ebenen, sogar im engen Freundeskreis. So nutzte ich den Zufall, dass mein 65. Geburtstag mit dem letzten Tag der närrischen Jahreszeit zusammen fiel, dafür, auf die selbst gestalteten Einladungskarten als Termin groß Fasnacht-Dienstag zu schreiben. Und damit hatte ich wieder einmal dem Fasching, einem im Allgäu schon dominierenden Sprachimport, ostentativ einen bodenständigen Ausdruck entgegengestellt. Und meine trotzige Wortwahl blieb unter meinen Gästen keineswegs unbemerkt. Sie erkannten sofort, dass ich damit wieder einen kleinen Hieb in meinem permanenten Kampf gegen die Verbaierung im Allgäu gelandet hatte. Und dies veranlasste einige Freunde, mich mit einem weiteren Reizwort zu ärgern. Als nämlich am Buffet auch kalter Hackbraten aufgetragen wurde, sprachen sie ganz provokativ von Fleischpflanzerln, wohl wissend, wie sehr mich dieser Bavarismus immer stört und ich an der einheimischen Bezeichnung Fleischküchle hänge. Die Ernsthaftigkeit, mit der ich seit vielen Jahren gegen den Gebrauch bairischer Ausdrücke ankämpfe, ist am Stammtisch schon weit bekannt und wird dort meist milde belächelt. Und so war denn auch auf einer der Glückwunschkarten zu lesen: … und dass Du noch lange in geistiger Frische viele Almen besuchen kannst!
Wo bleibt der Allgäuer Dialekt in der Gastronomie?
Besonders gegenüber der Gastronomie fühle ich mich immer wieder in der Rolle einer Kassandra, wenn ich ständig auf bajuwarisch-folkloristische Speisekarten (Schmankerl, Würstl, Kaiserschmarr’n, O’batzta, Haferl, Glasl, Stamperl) oder auf Namen von Gasthäusern (Stüberl, Stub’n, Häusl, Platzl) verweise und damit manchen Wirten eine Mitschuld am Identitätsverlust im Allgäu und im übrigen Bayerisch-Schwaben anlaste. Allerdings zeigte das kaum eine erkennbare Wirkung ;-).
Wo bleibt das Allgäuerisch beim Bayrischen Rundfunk?
Diesen ernsthaften Kampf für den Erhalt des Allgäuer Dialekts und der regionalen Sprachformen führe ich aber auch besonders gegenüber den Medien. Und dabei gewinne ich in besonderer Weise den Eindruck, gegen Windmühlen anzukämpfen.
Allem voran entstand bei mir immer das niederschmetternde Gefühl von Ohnmacht und Aussichtslosigkeit, wenn ich mich mit der mächtigen Institution „Bayerischer Rundfunk“ anlegte, etwa indem ich gegen immer neue Titel von Sendungen (Host’ mi?, Ois easi, Betthupferl) und gegen Serien (Dahoam is dahoam, Kaiser von Schexing) im sattsam gewohnten Fernseh-Bairisch schimpfte und wenn ich vom BR generell mehr regionalsprachliche Ausgeglichenheit forderte. Da musste ich mehrfach die Erfahrung machen, dass meine überzeugend formulierten Argumente einfach unbeantwortet blieben oder dass die knappen, so ganz und gar nicht auf meine Argumente eingehenden Antworten von uneinsichtiger Selbstgefälligkeit in dieser staatsnahen Medien-Bastion strotzten.
Besonders arg trifft es mich immer, wenn in den speziell für meine Region bestimmten Sendefenstern wie Mittags in Schwaben die Sprecherinnen und Sprecher aus der Schwaben-Redaktion bedenkenlos das in München übliche Salon-Bairisch anwenden und Ausdrücke wie Stückl, Radl, a bissl, Schneeglöckerl, Brotzeitbrettl in ihre Moderationen einfließen lassen. Außerdem reden sie ausschließlich vom Fasching!
Wo bleibt der Allgäuer Dialekt in der regionalen Zeitung?
Fast noch deprimierender ist es aber für mich, wenn ich fast täglich feststellen muss, wie selbst in meiner ansonsten sehr geschätzten Heimatzeitung immer wieder gängige Bavarismen verbreitet werden: Almen, Stockerl, Fasching, derblecken, Schmankerl, Wies’n, Radltour, stade Zeit, Christkindlmarkt. Ich begreife nicht, warum es in den Redaktionsstuben im Allgäu und in Augsburg so oft an der wünschenswerten Sensibilität für die richtige Regionalsprache mangelt.
Dabei hat diese Zeitung immer ein offenes Ohr, wenn Dialekt-Funktionäre aus Altbayern ein Lamento verbreiten und ausgerechnet das Bairische, und einzig dieses, als vom Aussterben bedroht hinstellen und zu einem schützenswerten Kulturgut erklären. Die Frage, wie es denn um die im Verbreitungsgebiet der Zeitung heimischen schwäbisch-alemannischen Mundarten stehe, wird dabei leider kaum einmal gestellt.
Ist mein Engagement für authentischen Dialekt sinnlos?
So entmutigend mir mein Engagement für den authentischen Dialekt und die angemessene Regionalsprache bisweilen auch erscheinen mag, so werde ich mich doch nicht davon abbringen lassen, auch weiterhin meine Stimme zu erheben. Und selbst wenn mir mein Einsatz eines Tages als absolut sinnlos und absurd erscheinen sollte, könnte ich mich immerhin noch damit trösten, was Albert Camus einst über seinen Helden schrieb:
„Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“.
Und wenn ich mich mal wieder ganz arg ärgere, dann starte ich vielleicht doch noch zu einem Revival 😉 meiner Trans Alp 1970.

Irgendwie war ich immer ein Spätzünder: Erst mit fast 21 Jahren verließ ich mein Westallgäuer Dorf, um über den Zweiten Bildungsweg noch zum Studium zu gelangen. Über Freiburg und Neuchâtel (CH) kam ich schließlich an die Uni Augsburg, wo ich in einem dialektologischen Forschungsprojekt hängen blieb und u. A. die Karten für mehrere Dialekt-Atlanten gezeichnet habe. Im Wissen um die dialektalen Gegebenheiten habe ich auch eine besondere Sensibilität für die sprachlichen Veränderungen entwickelt. Und so muss ich immer wieder schmerzhaft erleben, wie sich das bayerische Allgäu sprachlich und kulturell mehr und mehr an Oberbayern anpasst und damit viel von seiner Eigenart verliert.
Vor Kurzem habe ich unter dem Titel Herbststimmung – Erinnerungen und Gedanken eines Allgäuers (ISBN 978-3-347-23227-3) ein Buch veröffentlicht, in dem ich neben ganz Persönlichem auch die Themen Heimat, Nation, Politik, Gesellschaft und Religion breit anspreche. Und nun, als 73-jähriger Rentner, will ich mich gar noch als Blogger beweisen und mich so im Netz für „mein Allgäu“ einsetzen.
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Nun Herr Renn,
das war jetzt mal so richtig Luftablassen! Aber Recht haben Sie!! Ihre Forschung welche den Satz hervorbrachte „nur der Memminger Dialekt stemmt sich wie ein Bollwerk gegen das Baierische das über den Lech brandet“ verwende ich seit gefühlten Jahrzehnten als Aufhänger für diese Thematik.
Aber mit dem Engagement habe ich ähnliche Erfahrungen wie Sie und beispielhaft zu Ihrem vorgenannten Satz gibt es eine kleine Storry die ich vor gut einen Jahr hier an Uli zur Veröffentlichung gemailt habe, Sie aber nicht der Veröffentlichung wert fand.
Ich war in der Lüneburgerheide unterwegs und suchte ein Nachtlager. War schon spät Abends und der kleine Ort menschenleer, bis auf ein Pärchen welches auf eine Kreuzung zulief. Ich stellte mein Auto ab – hockte schon den ganzen Tag in dem Kombi – und ging den Zweien entgegen und fragte nach einem Hotel oder so und bekam als erste Antwort: „Sie sind aus Memmingen?“ Ich war natürlich von den Socken und die Begründung war: „Wir machen dort oft Urlaub, wir kennen diesen ihren Dialekt“.
Da ist man doch gleich wieder motiviert sich gegen das Bayerische zu stemmen.
Danke Rolf für Deinen Input. Einen kleinen Einwand möchte ich aber hinzufügen: Deine Story habe ich damals deshalb nicht veröffentlicht, weil mir zuerst schlichtweg die Zeit dafür fehlte, und ich dann den Blog zuerst mit anderen Beiträgen füllen wollte, damit die Inhalte weiterhin eine interessante Mischung für die Leser ergeben.