
Reformation im Allgäu: Wir sind stark betroffen

Das Allgäu ist katholisch! Mal abgesehen, von den (teilweise schon lange) Zugereisten. Zugereiste sind Menschen mit Migrationshintergrund. Also die, die von außerhalb des Allgäus kommen. Zugereiste erkennt man an der Sprache, an der Ausdrucksweise. Zugereiste verwenden weniger „Sch“-Laute und sagen „die Butter“ und „Brötchen“ und so´n Zeug. Und sie sind häufig auch nicht katholisch. HAAALT! Das stimmt zwar, aber seit der Reformation ist auch im Allgäu Bewegung im religiösen Spiel.
Ja, wir Allgäuer sind überwiegend katholisch, aber nur auf dem Land. Ganz viel Tradition und Brauchtum beruht auf katholischen oder kirchlichen Begebenheiten. Aber genauso haben keltische und alemannische Bräuche auf dem Land überlebt. Nicht umsonst lieben wir Räuchern, unsere Bärbele & Klausen, den Wald der stillen Kreuze und alles was mit Mystik zu tun hat.
In den Allgäuer Städten war man etwas offener für Neues. Also in dem Fall für die Reformation. Aber ehrlich gesagt, das gilt auch für alles Andere und auch für alle Religionen und Regionen ;-). Aber das ist ein anderes Thema.
Zusammengefaßt möcht ich sagen: Wir sind auch nicht religiöser, als anderswo, nur haben wir mehr himmlische Ortsnamen, Wegkreuze, Mariengrotten und Marterl am Wegesrand …

Wegkreuze & Marterl überall – auf drei Kilometer Weg kommen gefühlt fünf christliche Zeichen./ Foto: U. Heerdegen



Keltische Bräuche geben Allgäuer nicht auf / Fotos: U.Heerdegen
Reformation im Allgäu &
Luther als Spalter der katholischen Kirche
Der Urheber der Reformation, nagelt seine 95 Thesen zur Kirche an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Er widerspricht dem Machtanspruch der Kirche und prangert den Ablaßhandel an und findet viel Unterstützer. Nein, Luther war kein Spalter! Er war wohl eher ein Menschenfreund.
Logischerweise empfindet das die katholische Kirche gar nicht so. Aber welche politische oder kirchliche Macht liebt schon Reformer? Oder Weltverbesserer? Keine Macht der Welt liebt kritische Menschen mit Herz und Verstand. So ging es auch Luther
Reformation im Allgäu. Wir sind stark betroffen!
Also nicht betroffen, weil die schöne Holztür zu Wittenberg beschädigt wurde, sondern weil der Gedanke an Reformen natürlich auch vor dem Allgäu nicht halt machte. Die Äbte und Mönche bekamen kalte Füße. Sie sahen ihr lukratives Geschäft mit dem Ablasshandel flöten gehen. War ja auch so praktisch: Erst den lieben Mitbürgern mit dem Fegefeuer drohen, und dann die Hand aufhalten und „göttliches Bestechungsgeld“ einsacken. Die Menschen sahen eine Alternative und wehrten sich. Also nicht alle, aber zumindest die Bewohner der Allgäuer Städte. Für sie macht die „Reformation im Allgäu“ Sinn.
Kempten, Isny, Lindau und Memmingen, sie unterzeichneten bereits 12 Jahre später die Protestatio. Protestatio kommt von Protest und ist der Ursprung für die Protestanten. Kleine Revoluzzer, die Evangelen :-)!
Geschichtlich ist festgehalten, daß 1520 in der Sankt Mang Kirche in Kempten, Mönche das erstemal mit den Lutherschen Schriften in Berührung kamen. Dann noch neun Jahre bis zur Abspaltung. Das ist schon ziemlich zackig, wenn man bedenkt, daß die Thesen und die Revolution ja zu Fuß durchs Land getragen mußte. Stolperweg statt Datenautobahn. Arbeiten war halt mühselig damals.

Evangelische St. Mang Kirche in Kempten / Foto: U. Heerdegen
Reformation, die Mauer und die Doppelstadt Kempten
Nein, die Trennung der christlichen Religion verlief nicht friedlich. Auch nicht im Allgäu. Kempten wurde zweigeteilt: Freie Reichstadt (evangelisch) und Stiftsstadt (katholisch). Der 30jährige Krieg fiel in die Anfangsphase der Teilung. Katholen und Evangelen führten keinen Handel untereinander, man begab sich nicht in Feindesland, man heiratete nicht über die Grenze. Die Mauer verlief in den Köpfen, und das lange Jahrhunderte durch.
Inwieweit sich die katholische Landbevölkerung in die evangelische Reichststadt rein traute, ist mir nicht bekannt. Aber ich geh davon aus, daß diese Unstimmigkeit den Allgäuer Sturschädeln relativ egal war. Bürgertum war den Bauern immer suspekt, egal in welchem religiösen Mäntelchen es daher kam. Vom Land aus, ging man nicht gern ins „Städtchen“.
Aber: Bevor in Berlin die Mauer gebaut wurde, haben die Kemptener die Mauer schon lange überwunden. Ehrlich gesagt war das wohl vorallem, weil Kempten dann unter bayrische Vorherrschaft kam. Da gab es dann neue Feindbilder ;-). Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Blick auf die evangelische Reichsstadt in Kempten / Foto: U. Heerdegen

Blick Richtung katholische Stiftsstadt in Kempten vom St. Mang Turm / Foto: U. Heerdegen
Über 500 Jahre Protestanten im Allgäu & ein neuer Feiertag
Und weil 2017 der Luther genau am 31. Oktober vor 499 Jahren die religiöse Erschütterung der katholischen Kirche gestartet hat, feierte ganz Deutschland – also die evangelische Kirche – das Reformationsjahr.
Und weil das Reformationsjahr so besonders war, hatten die Deutschen 2017 einen zusätzlichen Feiertag. Selbst der vereehrte bayrische Landesvater hat für „sein“ Land zugestimmt. Hurra! Es lebe die Revolution. Nun ist die Teilung wirklich überwunden, und die Evangelen sind seither endgültig integriert!
Deshalb weiß vielleicht auch niemand mehr, daß der jährliche Reformationstag am 31. Oktober schon gefeiert wurde, bevor Halloween über den Atlantik schwappte.
Quintessenz:
Auch evangelische Allgäuer sind echte Allgäuer.
Mauern lassen sich überwinden.
Revolutionen gegen die Obrigkeit sind notwendig, aber langwierig.
Halloween ist US-Zeugs.
Danke Martin!
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